
SMACH
Kultur im Einklang mit der Natur
Es gibt da ein Tal namens Val dl’Ert, mit einer Natur – so wild wie idyllisch, so kontemplativ wie lebendig, schattenspendenden Wäldern und einsamen Lichtungen, die den Blick auf die Berge, Himmel, Wolken und die Sonne freigeben. Durchs Tal schlängelt sich ein Weg. Folgt man ihm, beruhigt sich der Atem, wird der Blick klarer für Flora und Fauna rundherum. Und plötzlich erblicken die Augen Unerwartetes: Aus der Landschaft schälen sich mal auffälliger, mal subtiler, Konstrukte, Formen, Farben und Gebilde. Sie überraschen, irritieren und offenbaren sich dem wandernden Publikum nur allmählich, lösen Emotionen aus. Dieses Tal birgt nicht nur eine beeindruckende Natur, sondern auch eine Vielfalt anderen kreativen Ausdrucks menschlicher Inspiration. Manchmal scheinen die Kunstwerke auf den ersten Blick ungewohnt und fremd, aber niemals fehl am Platz beziehungsweise in der Landschaft. Denn sie sind so gestaltet, dass sie den Blick auf Dinge lenken, Perspektiven eröffnen und Gedanken entfachen – immer im Einlang mit der Kultur, Geschichte und Natur des Ortes.
Wo liegt nun dieses wundersame Val dl’Ert beziehungsweise, übersetzt aus dem Ladinischen, Tal der Kunst? Das Freilichtmuseum befindet sich in der Nähe von Sankt Martin in Thurn auf einem etwa 25 Hektar großen Grundstück, konzipiert als work in progress, mit bisher 28 Werken zeitgenössischer Kunst. Die Skulpturen und Installationen von ebenso vielen internationalen Künstler*innen sind weitläufig in der alpinen Landschaft verstreut. Besucht wird das Val dl’Ert von Gästen, Ortsansässigen, Familien mit Kindern, Schulklassen, Künstler:innen und Kunstinteressierten, der Eintritt ist zu jeder Tages- und Jahreszeit möglich und frei. Die Dauerausstellung wächst konstant und wird im Zweijahresrhythmus mit den Siegerprojekten eines international renommierten, Wettbewerbs für zeitgenössische Kunst erweitert. Die Rede ist von SMACH – das Akronym steht für San Martin art, culture and heritage. Die zehn Preisträger:innen des in Südtirol und weit über die Grenzen hinaus einzigartigen Projekts installieren ihre ortsspezifischen Arbeiten an diversen Orten von historischem und kulturellem Interesse.


„SMACH ist all das und noch viel mehr”, erzählt Gründungsmitglied und derzeitiger Präsident Michael Moling: „Der Wettbewerb wurde 2012 mit dem Ziel ins Leben gerufen, der Region nicht nur touristisch, sondern auch und vor allem kulturell auf internationalem Niveau Bedeutung beizumessen. 2013 findet die erste Ausgabe der Biennale der Dolomiten statt. Grundgedanke und so im Statut festgelegt, ist ein möglichst offener und partizipativer Aufruf. Eine Besonderheit unserer Ausschreibung ist, dass wir nicht nach dem Lebenslauf fragen“, betont Moling. „Wer immer sich dazu berufen fühlt, ist eingeladen, teilzunehmen. Ausschlaggebend sind für uns die Qualität der Arbeit und die Idee für die Region, mehr als das Persönliche und Berufliche.“
2025 ist wieder ein SMACH-Jahr. Die auserlesene internationale Jury der siebten Ausgabe besteht aus dem Künstler Peter Senoner und der Künstlerin Jasmine Deporta, der Kuratorin Zasha Colah und dem Kurator Emanuele Masi sowie dem Designer Stefan Sagmeister. Wie bei den vergangenen Wettbewerben wurde vom wissenschaftlichen Komitee auch für die diesjährige Ausschreibung ein Thema festgelegt. Dabei handelt es sich um einen besonderen Gegenstand: cu auf Ladinisch und Wetzstein auf Deutsch. Mit diesem Stein wurden besonders früher die Sensen zum Mähen des Grases geschärft, mancherorts wird er auch heute noch verwendet.
„Die Wahl fiel auf dieses Objekt“, so Moling weiter, „um uns noch mehr der Welt zu öffnen, denn es gibt zahlreiche Gemeinsamkeiten mit anderen Kulturen auf anderen Kontinenten. Das Objekt erinnert an Begriffe wie Materialität, Einfallsreichtum, Handwerkskunst, technologische Entwicklung, Universalität der Formen und Grundbedürfnisse, manche Arbeitsgeräte sind überall auf der Welt zu finden.“
Für SMACH 2025 haben die Jury die Einreichungen folgender Teilnehmenden überzeugt: Alex Xiaotan Yang und Wentao Guo, Carmine Auricchio und Jonathan Coen sowie Moritz Knopp, Elias Jocher, Hama Lohrmann, Drukdoenerij (Hans De Backer), Lola Giuffré, Luca Rossi, Atelier Simondi, Officine Fabbre und Prometheus, Theresa Hattinger, ELSE – Fei Xu, Zimo ZHANG). Außerdem ist das Satellitenprojekt von Riccardo Buonafede zu sehen.


Im Lauf der Jahre hat sich SMACH zu einem lebendigen Hub und zu einem kulturellen Aktivator entwickelt, der mit einer Fülle von Initiativen Personen einschließlich der lokalen Gemeinschaft einbezieht und dadurch auch das große kulturelle und historische Erbe bewahrt und weiterträgt. SMACH und das Val dl’Ert bieten Raum für didaktische Aktivitäten, Bildungsprogramme und Workshops, auch Veranstaltungen wie Konzerte, Aufführungen und Open-Air-Filmfestivals im stimmungsvollen, natürlichen Amphitheater des Tals. „In diesem Jahr“, fügt Michael Moling hinzu, „möchten wir über Crowdfunding auch ein Residenzprogramm für Künstler:innen ins Leben rufen und ein Wohnmobil ankaufen, in dem Künstler:innen, aber auch Autor:innen, Dichter:innen und Forschende das ganze Jahr über untergebracht werden können, um uns weiterhin dem disziplinären und internationalen Austausch zu öffnen.“
Initiiert wurde auch eine Reihe von SMACH-Satellitenprojekten, als weiteres wichtiges Element zur Würdigung der Region und der zeitgenössischen Kunst als Träger von Wissen und neuen Perspektiven auf die Gegenwart. Dazu zählt Tor von Lois Anvidalfarei, dem bedeutendsten Bildhauer und Künstler des Gadertals, verwirklicht 2021 mit Unterstützung von PAC (Plan for Contemporary Art) und Museum Ladin Ciastel de Tor: Dort steht ein beeindruckend groß ein Konstrukt aus Gerüstrohren in deren Mitte ein Körper aus Bronze schwebt. Die Skulptur ist eine von sechs, die Lois Anvidalfarei 2013 für den Zyklus Conditio Humana geschaffen hat. Wie der Titel der Serie andeutet, stellt das Werk die Existenz zwischen körperlicher Kraft, Zurückhaltung, Ausdauer und Scheitern dar.
Ein weiteres SMACH-Satellitenprojekt mit internationaler und für die Region relevanter Bedeutung ist Il Terzo Paradiso des Künstlers Michelangelo Pistoletto: Es steht in Colfosco in der Nähe des Grödner Jochs auf einer Lichtung am Fuß der Sellagruppe – die Eröffnung des von Sandro Orlandi Stagl und Phil Mer kuratierten Projekts ist für Juli 2025 geplant. Die Installation wird im Tal von verschiedenen Punkten aus sichtbar sein und kann über einen Fuß- oder Radweg erreicht werden. Pistolettos Werk stellt das dritte Paradies dar, mit dem das erste und das zweite Paradies verbunden werden: Im ersten waren Mensch und Natur eins. Das zweite ist ein künstliches, von der menschlichen Intelligenz entwickeltes Paradies mit den heutigen globalen Dimensionen der Wissenschaft und Technologie – eine wahrhaft künstliche Welt, die mit exponentiellem Fortschreiten, parallel zu den positiven Effekten, unumkehrbare Prozesse der Zerstörung und des Verbrauchs der natürlichen Welt hervorbringt. Il Terzo Paradiso, das dritte Paradies, ist die dritte Phase der Menschheit, die sich ausgewogen in der Verbindung von Kunst und Natur verwirklicht. Es darf wohl zu recht behauptet werden, dass SMACH und die Magie des Val dl’Ert ein richtiger und wichtiger Schritt in diese Richtung sind.
Wer diese magische Erfahrung mitten in den Dolomiten nicht missen und alle Installationen der Biennale SMACH 2025 sehen möchte, findet auf der Website holimites.com eine Reihe von Angeboten mit Trekkingrouten, geführten Touren und Übernachtungen in diversen Hütten in Alta Badia.
Maria Quinz arbeitet als freiberufliche Journalistin, Texterin und Übersetzerin. Ihr Interesse gilt vor allem dem Design, der Kunst und dem Film. Sie entwickelt und verfasst diverse Textsorten für Web- und Printmedien in den Bereichen Kultur und Lifestyle. Geboren und aufgewachsen ist sie in Bozen in Südtirol, lebt und arbeitet nun in Mailand.