
Die Ladinische Sprache
Ein kulturelles Erbe
Sprache ist ein faszinierendes und komplexes System der Kommunikation. Sie macht uns Menschen aus und unterscheidet uns von Tieren. Mit Hilfe von Sprache, also dem Kombinieren von Wörtern nach bestimmten Regeln, können wir Menschen die unglaublichsten Dinge vollbringen: Wir können sprechen, schreiben und denken, erzählen, dichten und fabulieren, wir können diskutieren, argumentieren und fluchen, wir können uns gegenseitig schmeicheln oder manipulieren, wir können unsere Zukunft planen oder Vergangenes erklären. Ich spreche, also bin ich! Die Möglichkeiten sind schier unendlich.
Laut den aktuellsten Forschungen gibt es auf der Welt um die 7.000 Sprachen und immer noch kommt es vor, dass neue Sprachen entdeckt werden. Die Vielfalt von Wörtern und Grammatiken ist gewaltig. Linguist*innen untersuchen, analysieren und vergleichen diese Sprachen kontinuierlich. Sie wollen verstehen, woher sie kommen, wie sie sich entwickelt haben und ob es universelle Prinzipien gibt, die alle Sprachen der Welt miteinander verbinden. Wie vielfältig diese Thematik ist, zeigt sich gerade auch hier in Südtirol. Auf einer Fläche von nur 7.400 Quadratkilometern und bei einer Zahl von 532.616 Einwohner*innen vereinen sich drei offizielle Amtssprachen und mehr als 40 Dialekte. Darunter befindet sich ein ganz besonderes Sprachjuwel: Das Ladin. Neben Deutsch und Italienisch ist es eine der drei offiziellen Amtssprachen Südtirols.
Doch auch Sprachen sind in Gefahr auszusterben. Laut offiziellen Schätzungen der UN-Organisation Unesco verschwindet weltweit alle zwei Wochen eine Minderheitensprache von der Sprachenlandkarte dieser Welt. Insgesamt werden wohl bis zum Ende des Jahrhunderts rund 1.500 bis 3.000 Sprachen nicht mehr existieren. Mit ihren rund 30.000 Muttersprachler*innen zählt die Unesco auch das Ladin zu diesen Sprachen. Ob es dazu kommen wird, hängt vor allem auch davon ab, welche Entwicklungsmöglichkeiten der ladinischen Sprache und Kultur in Zukunft geboten werden. Die aktuellen Daten zeigen: Bei der letzten Sprachgruppenzählung 2024 in Südtirol haben sich 4,41 Prozent aller Südtiroler zur Ladinischen Sprachgruppe bekannt. Das ist, so lässt es sich auf der Seite des Südtiroler Landesinstituts für Statistik ASTAT nachlesen, ein Rückgang von 0,12 Prozentpunkten. Ein Rückgang, der auch mit der hohen Zuwanderung von Saisonskräften aus dem Ausland in die ladinischen Sprachgebiete und der Abwanderung junger Ladiner*innen aus ihren Heimatorten zusammenhängt.

Ladin wird vorwiegend in den fünf, rund um das Sellamassiv liegenden Tälern Buchenstein, Ampezzo, Fassatal, Gröden und Gadertal gesprochen, welche auf die zwei Regionen Trentino-Südtirol und Venetien und die drei Provinzen Bozen, Trient und Belluno verteilt sind. In den Tälern der beiden autonomen Provinzen Bozen und Trient ist das Ladin als Verwaltungssprache anerkannt und wird in öffentlichen Ämtern und in den Medien verwendet. In jedem dieser fünf Täler gibt es eine eigene Ausprägung des Idioms, die sich in Aussprache, Wortschatz und Grammatik unterscheiden: In Ampezzo ist es das Anpezàn, in Buchenstein das Fodóm, im Fassatal das Fascian und in Gröden das Gherdëina. Im Gadertal, dem größten ladinischen Tal Südtirols, gibt es sogar drei dialektale Varianten: Im unteren Abschnitt des Tals, in Enneberg, herrscht das sogenannte Marou vor, im mittleren Teil des Tals das Ladin de mesa val und im Hochabtei das Badiot. Der 1994 gestartete Versuch, eine gemeinsame ladinische Standardsprache mit dem Namen Ladin Dolomitan zu entwickeln, konnte bis heute keine offizielle Anerkennung finden. Verwandte Sprachen gibt es heute noch im Friaul (Furlan) und im Schweizer Graubünden (Grijun).
Die Sprache ist ein Organismus, der sich ständig weiterentwickelt und anpasst.
Noam Chomsky, Linguist, Philosoph, Sozialkritiker
Wie Italienisch, Französisch und Spanisch ist das Ladin (vom lateinischen Latinus, was so viel bedeutet wie Latein) eine romanische Sprache. Seinen Anfang nahm sie, wie so vieles in den Alpen, mit der Ankunft der Römer im Jahr 15 vor Christus. Die meisten Menschen, die zu dieser Zeit in den Alpen lebten, gehörten den verschiedenen Völkern der Räter an. Mit der Expansion des Römischen Reiches wurden die rätischen Stämme schließlich romanisiert. Sie legten ihre vorlateinische Sprache ab und übernahmen nach und nach die Sprache ihrer Eroberer, das sogenannte Vulgärlatein. Daraus entwickelte sich mit der Zeit eine alpenromanische Volkssprache, aus der sich in der Folge die ladinischen Sprachvarianten herauskristallisierten. Auf die turbulente Zeit der Römischen Eroberung folgte im Alpenraum die nicht weniger intensive Zeit der Völkerwanderung. Viele romanische Gegenden wurden germanisiert. Dass sich das Ladin während dieser Zeit erhalten hat, hing sehr stark von der geografischen Abgeschiedenheit dieser Dolomitentäler ab.
Die nächsten Jahrhunderte lebten die Ladiner*innen als Bauersleute in relativer Zurückgezogenheit in ihren Tälern, wodurch sie es schafften, ihre kulturellen Traditionen zu bewahren und ihre Sprache in Alltag, Familie und Gemeinschaft weiter zu reichen. Aus dieser Zeit stammt auch der älteste überlieferte ladinische Text, eine Verordnung aus dem Jahr 1631, die gadertalische Züge trägt. Somit gilt das Gadertal als das ladinische Tal mit der längsten Schreibtradition. Darüber hinaus gaben die Ladiner*innen ihre Erzählungen, insbesondere auch Geschichten aus der Sagenwelt, ausschließlich mündlich weiter.


Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelten sich auch literarische Texte. Die ersten bekannten ladinischen Autoren waren vielfach Priester, so etwa der Gadertaler Micurà de Rü, der als Verfasser der ersten dolomitenladinischen Grammatik im Jahr 1833 gilt und nach dem das ladinische Kulturinstitut im Gadertal benannt ist. Daneben gab es aber auch Dichter, Schriftsteller und Gelehrte, die nicht dem Klerus zuzuschreiben sind: Der Grödner Schriftsteller Matie Ploner etwa verfasste bereits 1807 sechs kurze Volkserzählungen in ladinischer Sprache. Der Enneberger Dichter Angelo Trebo gilt als erster ladinischer Dichter und der Kolfuschger Romanist und Philologe Jan Batista Alton war der erste Ladiner, der seine Muttersprache auf universitärem Niveau erforschte. Er sammelte Lieder, Sprichwörter, Anekdoten und Reime und verfasste Werke über die ladinischen Dialekte, die Bräuche, Sitten und Denkweisen seiner Landsleute. Auch das erste, vollständig in Ladin verfasste Buch stammte aus dieser Zeit. Priester aus dem Gadertal, Ampezzo und Buchenstein gründeten 1870 schließlich einen ersten Verein zur Wahrung der ladinischen Sprache und Kultur: die Naziun Ladina.
Die Geschehnisse der Weltpolitik gelangten schließlich auch in einen so abgeschiedenen Winkel, wie es die Dolomiten damals waren – und dies mit voller Wucht. Der Verlust von 1.000 gefallenen Ladinern im Ersten Weltkrieg, die Angliederung der Ladinischen Gebiete an Italien, der Versuch einer Italianisierung durch den Faschismus und die Abwanderung eines nicht unerheblichen Teils der ladinischen Minderheit im Zuge der nationalsozialistischen Option in das Dritte Reich hatten für die Ladiner*innen und ihre Sprache einschneidende Folgen. Trotzdem fallen die ersten ladinischen Texte einer Frau aus dem Gadertal in diese Zeit, nämlich die Primizgedichte von Emma Dapunt (1921).
Es gibt keine Sprache ohne Kultur und keine Kultur ohne Sprache.
Edward Sapir, Linguist, Anthropologe und Erfinder der modernen Sprachwissenschaft
Dass das Ladin, die nachweislich älteste noch existente Sprache in Südtirol, nach über 2.000 Jahren überhaupt noch gesprochen wird, hängt stark mit der engen Verbindung zwischen der ladinischen Sprache und der kulturellen Identität der Ladiner*innen zusammen. Für ihre politische Sichtbarkeit und Mitbestimmung und damit auch für das Überleben ihrer Muttersprache mussten sie in der Nachkriegszeit auf mehreren Ebenen hart kämpfen. So waren die Ladiner*innen und ihre Anliegen im 1946 abgeschlossenen Friedensvertrag zwischen Italien und Österreich überhaupt nicht existent. Erst im Ersten Autonomiestatut der Region Trentino-Südtirol von 1948 wurde die ladinische Minderheit offiziell anerkannt. Darin erhielten die Ladiner*innen die Erlaubnis, in jenen Gemeinden, in denen Ladinisch gesprochen wurde, die ladinischen Orts- und Flurnamen zu verwenden. Außerdem durfte das Ladin neben der deutschen und italienischen Sprache mit in den Unterricht aufgenommen werden. Dieses sogenannte paritätische Schulsystem ist in Südtirol heute noch in Funktion. Gemeinsam mit der stetigen Entwicklung des Tourismus in den Dolomiten und der generellen Notwendigkeit der ladinischen Minderheit, sich außerhalb der ladinischen Sprachgrenzen an die jeweilis gesprochene Sprache anzupassen, hat dazu geführt, dass die Ladiner*innen in Südtirol heute dreisprachig leben.
Der Status einer eigenen Minderheitensprache wurde dem Ladin erst im Jahr 1951 verliehen, ab 1972, mit dem Zweiten Autonomiestatut, waren Ladiner*innen im Südtiroler Landtag vertreten, erhielten ein eigenes Schulamt und die Möglichkeit, ladinische Zeitungen herauszugeben, so etwa die interladinische Wochenzeitung La Usc di Ladins, mit Beiträgen aus allen fünf Dolomitentälern, sowie ladinische Radio- und Fernsehsendungen zu gestalten. Seit 1961 gibt es ein ladinisches Kulturprogramm im öffentlich-rechtlichen Radio, seit 1988 tägliche ladinische Fernsehsendungen. 1989 wurde Ladin schließlich als dritte Amtssprache in Südtirol eingeführt.
Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in den ladinischen Tälern verschiedene Vereine zur Erhaltung, Förderung und Weiterentwicklung der ladinischen Sprache und Kultur ins Leben gerufen. Dank ihrer kontinuierlichen Arbeit konnten später Museen eröffnet und Kulturinstitute gegründet werden, welche die Sprach- und Kulturförderung auf institutioneller Ebene ermöglichen. Neben der Veröffentlichung von wissenschaftlichen Zeitschriften, dem Veranstalten von literarischen Wettbewerben für ladinische Literatur oder der Übersetzung bedeutender Werke ins Ladin kümmern sich die Vereine und Kulturinstitute etwa auch um das Schreiben und Publizieren von Sprachlehrbüchern, Schulgrammatiken und Wörterbüchern, die auch online nutzbar sind. Außerdem bieten sie Ladinisch-Sprachkurse an. Vor kurzem wurde in Zusammenarbeit mit dem Ladinischen Kulturinstiut Micurà de Rü, dem Kompetenzzentrum für das Gadertal und Gröden, an der Universität von Bozen das weltweite erste Smartphone mit ladinischer Benutzeroberfläche vorgestellt.
Dieser kulturelle Frühling, den das Ladin seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges erlebt und der sich auch in der ladinischen Literatur und Musik durch neue Formen der Dichtung und zeitgenössischer Prosa niederschlägt, stimmt trotz Hiobs-Prognose der Unesco optimistisch, dass das Ladin auch die nächsten 2.000 Jahre überstehen wird. Denn, wie man im Ladinischen so gerne sagt: Le lingaz é l'anima de na comunité.
Verena Spechtenhauser, Bücherliebhaberin, freie Journalistin, Historikerin. Nach Stationen in Innsbruck, Rom und Madrid lebt sie zurzeit mit ihrer Familie in Meran. Am Liebsten schreibt sie über Literatur, Natur, Reisen, Architektur und Design für diverse Medien und Verlagsprojekte und verliert sich während ihrer beruflichen Recherchen regelmäßig in Rabbit Holes, aus denen sie nur schwer wieder rauskommt.

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